Die Bücher meiner Schwester – „Geschichten, die berühren“
Einen Roman zu lesen konnte ich mir nach meinem Verlust nicht mehr vorstellen. Da erreichte mich ein Päckchen meiner Schwester Gudrun…
Manchmal sucht sich das Leben harte Wege
In dieser Buchentdeckung meiner Schwester geht es um Geschichten, die Zuversicht machen sollen…
Gudrun traf die Autorin bei einer Lesung in ihrer nicht einmal wohnzimmergroßen Lieblingsbuchhandlung im Siegerland. Hier lebt meine Schwester mit ihrer Familie, und hier ist auch Katharina Afflerbach aufgewachsen, die Autorin von „Manchmal sucht sich das Leben harte Wege. Wahre Geschichten, die berühren und Zuversicht geben“ (Goldegg 2021). Das von der Autorin mit einer persönlichen Widmung signierte Buch schenkte mir Gudrun zum Geburtstag. Nun also ein Selbsterfahrungsbericht, mit einem langen und etwas klischeehaften Titel?
Ein Leben mit Brüchen
Ich wurde eines Besseren belehrt. Katharina Afflerbach hat ihre Marketingkarriere in der Kreuzfahrtbranche und in der Hotellerie an den Nagel gehängt. Seit ihren Erfahrungen als „Sennerin auf Zeit“ arbeitet sie laut eigener Aussage als freiberufliche Konzeptionerin, Texterin und Coach. Für mich klang das erst sehr nach Zeitgeist und hipper Selbstoptimierung. Umso mehr beeindruckte mich, als ich las, wie Katharina Afflerbach nach dem Schiffsunglück vor Giglio Überlebende und Hinterbliebene der Costa Concordia betreute. Als empathische Zuhörerin, wie sie selbst schreibt, aber auch nicht wirklich persönlich betroffen. Was ein existenzieller Verlust bedeutet, konnte sie mit einem Schlag nachvollziehen, als sie ihren Bruder durch einen Autounfall verlor.
Verlusterfahrungen
Doch der eigene Verlust der Autorin steht nicht im Mittelpunkt des Buches. Katharina Afflerbach hat mit anderen Menschen gesprochen, die schwerste Schicksalsschläge erlitten haben. Sie alle stammen aus ihrem engeren oder weiteren Umfeld und haben sich der Autorin in persönlichen Gesprächen geöffnet. Wie die Menschen bei VIVAS haben sie den Verlust eines oder mehrerer geliebter Menschen erlebt, sei es durch Krankheit, Unfall, Suizid oder Gewalttat. Katharina Afflerbach hat ihre Geschichten mit beeindruckendem Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen aufgeschrieben. Sie weiß selbst, wie es ist, wenn nichts mehr ist, wie es einmal war.
Für mich ist das Lesen dieser Geschichten immer noch Schwerstarbeit. Beim ersten Mal schaffte ich nicht mehr als eine pro Tag, so sehr nahmen sie mich gefangen. Mir begegnen darin immer wieder Bruchstücke meiner eigenen Erlebnisse. Das tut weh, aber zugleich tut es mir auch gut, den liebevollen Blick der Autorin auf die Menschen und ihre Erfahrungen zu spüren. Sie gibt ihnen Raum, sie würdigt ihre Erfahrungen mit Mitgefühl und Respekt, nicht Mitleid. Genau diese Mischung ist es, die nach meiner Erfahrung in der Trauer am meisten hilft. Und die ich glücklicherweise auch in meinem eigenen Umfeld immer wieder antreffe.
Zurück ins Leben
Katharina Afflerbach zeigt in ihrem Buch, wie unterschiedlich die Menschen auf Verluste reagieren: mit Wut, Selbstschutz, Ohnmacht, Funktionieren, Vorwürfen und Angst. Sie zeigt aber auch, dass es möglich ist, wieder aufzustehen und durch den Schmerz hindurch ins Leben zurückzufinden. Das finde ich tröstlich.
Ihr Buch richtet sich aber nicht nur an selbst Betroffene, sondern auch an die Menschen im Umfeld. Mit den offenen Einblicken in die Erfahrungswelten von Trauernden möchte die Autorin Berührungsängste gegenüber Menschen mit schweren Verlusten abbauen. Der Tod hat in unserer Gesellschaft keinen selbstverständlichen Platz mehr. Umso größer ist oft die Unsicherheit gegenüber denjenigen, denen eine solche Katastrophe widerfahren ist. Also besser gar nichts sagen als etwas Falsches? Das birgt die Gefahr, dass sich Trauernde dauerhaft in die Isolation zurückziehen.
Mitgefühl zeigen
Ich erinnere mich selbst noch gut an meine große Unsicherheit gegenüber Menschen, denen Schlimmes widerfahren war. Seit meinem eigenen Verlust weiß ich, wie gut auch kleine Gesten tun und wie schön es ist, wenn Menschen echtes Interesse für mich aufbringen. Lieber die eigene Unsicherheit zeigen als wohlfeile Phrasen anbringen. An mir dranbleiben, auch wenn es anstrengend ist.
So wie meine Schwester. Von den persönlichen Schilderungen und der sympathischen Ausstrahlung von Katharina Afflerbach war sie bei der Lesung tief beeindruckt. Gudrun hat sich durch dieses Buch mit allen seinen Geschichten hindurchgearbeitet und ist den Menschen darin gefolgt. Und sie reicht auch mir immer wieder die Hand.
Birgit Kröniger