Und wieder stehen wir vor einem Grab. Es ist ein ganz kleines. Und kein tiefes. Und doch war es mühsam genug, mitten in die Wiese zu stechen, mit dem Spaten erst ein paar begrenzende Stiche in den Boden zu treiben, dann mit dem Schaufelblatt die Erde zu heben und das Loch mit der Harke zu vertiefen, kleine Steine zu lockern. Und immer wieder einen Regenwurm zu schonen, aufzuheben, weiter weg ins Gras zu werfen.

Natürlich regnet es in Strömen, donnert und frühlingsgewittert sogar. Aber wer hört das schon? Es ist ein kleines Grab, geschmückt mit frisch gepflückten Blumen. Ein fast lächerlich winziges Loch. Und doch ein kleines neues Zuhause für eine ganz Große. Unsere Mieze.

Ernst und ergreifend. Als ob sich etwas wiederholt, eine Beerdigung mit all ihrer Unsicherheit, im Kleinen. Mieze ist allerdings schon ganz wo anders. Ihre Augen sind in eine unbekannte Ferne gerichtet, der Blick ist gebrochen. Und doch wirkt es immer wieder so, als ob sich ihr Fell unter schwachen Atemzügen hebt. Als ob noch etwas lebt, präsent ist.

22 Jahre sind ein hohes, ja fast möchte man wirklich sagen: ein biblisches Alter. Für eine Katze. Für ein Mitglied unserer Familie, das andere überlebte.

Es waren vor allem die vergangenen zwei Jahre, in denen sie für uns am allerwichtigsten war. Als kleine Trauerbegleiterin. Benno war weg. Unsere Mieze war da. Sie blieb noch einige Zeit. Es schien, als ob sie genau wüsste, wie wichtig ihr Schmusen, ihr Schnurren, ihr stilles Mit-Wissen und Mit-Fühlen für uns alle war. Wenn Trauer und Dunkelheit bedrückend schwer im Raum hingen, wusste sie, was gut für uns war.

Es gab keinen Tag, an dem wir nicht durch die Tür traten, keinen Morgen, an dem wir ins Wohnzimmer kamen, wo du dich nicht auf dem Sofa ganz klein, wie ein Katzen-Shrimp, aber ganz präsent und irgendwie auch ganz wachsam eingerollt hattest. Kein Morgen, ohne dass du uns gleich erblicktest und mit einem freundlichen, erwartungsvollen Maunzen begrüßtest.

Sind unser aller Aufgaben jetzt schon erfüllt? Sicher noch nicht. Uns fällt das Weitermachen, das Akzeptieren sehr schwer. Und wir spüren alle stark, wie jetzt auch du uns fehlst. Kleine Katze. Und doch hast du lange ausgehalten. Hast deine Aufgaben zu einem guten Ende geführt, hast uns begleitet, getröstet, warst einfach da.

Wie oft ich bislang schon auf deinen Platz geblickt habe, wo du eben nicht mehr liegst. Auch die Balkontür steht plötzlich offen – und mich durchzuckt es. Aber du bist ja nicht da. Und auch die Butter auf dem Tisch muss man nicht mehr sofort wegräumen.

Es ist groß, dass eine so kleine Katze so wichtig für uns alle war. Du bist auf einem Weg, den wir alle noch nicht kennen. Aber es tut gut, dass auch du jetzt schon auf uns wartest. Auf dein Maunzen, auf das Begrüßen, auf eine Art von Wiedersehen auch mit dir freue ich mich jetzt schon. Mach’s gut!

Rupert Sommer

 
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Die Bücher meiner Schwester – „Marianengraben“

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Macht der Frühling alles neu?