„Wie geht es dir?“

 

Letzte Woche erzählte mir eine verwaiste Mutter, die momentan ziemlich stabil ist und gute Zeiten erlebt, dass sie kürzlich von einer Bekannten gefragt wurde, wie es ihr gehe. Und obwohl für sie gerade vieles besser und leichter ist als früher, spürt sie in sich eine Sperre, einfach mit „Danke gut“ zu antworten. Das würde sich falsch anfühlen.

In meiner Praxis in Dachau ist die Frage „Wie geht es dir?“ im Grunde das Zentrum, um das vieles kreist. Auch wenn ich meistens indirekt frage, geht es doch im Kern darum, wie der Mensch mir gegenüber sich fühlt und ob eine positive Beeinflussung seiner Situation möglich ist. In meiner Begegnung mit den Menschen gibt es dabei Raum für jedwede Antwort. Natürlich darf es gut gehen! Aber eben auch schlecht. Sogar der Ausdruck des temporären Wunsches nach der Vernichtung des eigenen Lebens darf seinen Platz finden, so schwer und anstrengend dies auch sein mag. Die bedingungslose Anerkennung der Schwere der Verlustsituation ist der Punkt, von dem aus ich die Menschen zu unterstützen suche in ihrem Tasten nach einem guten Leben, zu dem sie selbst wieder ja sagen können.

Wenn sich Menschen mit „Wie geht es dir?“ begrüßen, ist das meist keine echte Frage, es ist vielmehr ein weltweites Ritual, das Freundlichkeit, gegenseitiges Interesse und Respekt zum Ausdruck bringt; insofern erwartet der Fragende in aller Regel auch keine ernsthafte Antwort. „How are you?“, „Ça va?“, „Come stai?“, „… Danke gut und dir?“. Bei Menschen, die einen schweren Verlust erlitten haben, wandelt sich das. Die Leichtigkeit des Rituals scheint vielen kaum mehr möglich. Das freundliche „Danke gut und dir?“ kommt nur schwer über die Lippen. Die harmlose Frage zur Begrüßung wird manchmal sogar zum Türöffner für finsteren Groll. Wie können es die anderen wagen, so taktlos zu sein, wie kann man so unbedarft und beiläufig fragen, wo ich doch genau weiß, dass sie gar nicht wissen wollen, wie es mir wirklich geht.

Natürlich nicht. Kaum jemand will wirklich wissen, wie der Schmerz in einem tobt, wie die Einsamkeit zermürbt, wie der ganz normale Alltag ein Überlebenskampf ist… So ist das oft nach dem Tod eines geliebten Menschen. Die freundliche Frage des Gegenübers ist nur ein zaghafter, oft unsicherer Versuch, Normalität anzubieten, ein gemeinsames Fundament zu finden. Den Trauernden erscheint es oft unpassend, vor allem dann, wenn man den Eindruck hat, die andere Person könnte eigentlich wissen, dass es einem nicht gut geht. Der fremde Portier im Hotel, der einen freundlich bei der Anreise mit den Worten „Wie geht es Ihnen? Hatten Sie eine angenehme Reise“ begrüßt, bekommt ein ebenso freundliches „Danke sehr gut!“ zurück. Die befreundete Nachbarin dagegen nervt mit ihrer freundlichen Arglosigkeit. „Danke, es geht so, mal auf mal ab“. Die Antwort wirkt vielleicht ein bisschen distanziert, manchmal sogar vorwurfsvoll, aber man kann ja nicht einfach raus aus seiner Haut.

„Hallo David, wie geht’s dir?“. Die Menschen, die zu mir kommen, sind mir ans Herz gewachsen und ich ihnen wohl auch. Manchmal kommen sie freudig in meinen Therapieraum und fragen munter nach meinem Befinden? Ausgerechnet sie, die über Jahre Probleme mit dieser scheinbar simplen Frage hatten, grüßen mich heiter, wie es Menschen in aller Welt tun. Ich bin immer ein wenig verdattert darüber und zögere mit der Antwort. Manchmal antworte ich salopp mit „Danke gut und dir?“. „Auch gut, Danke“. Und anschließend erzählen sie mir natürlich auch das, was gerade Mühe im Leben bereitet. Aber das lockere „Wie geht’s?“ darf trotzdem sein. „Gut“ bedeutet ja nur, dass es einen freut, der anderen Person zu begegnen. Dass das Leben als Ganzes ohnehin nie nur gut ist, ist sowieso klar. Aber wenn es gelingt dem eigenen Dasein wieder ein bisschen Licht und Wärme abzutrotzen, dann darf man auch wieder in die Unbeschwertheit des Rituals einstimmen. „Wie geht es dir? Danke gut.“

David Althaus

 
 
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