Der Geist von Altötting
Letztes Jahr in Zusmarshausen, dieses Jahr in Altötting: Bereits zum zweiten Mal trafen sich im Juli rund 25 Mitglieder zur VIVAS-Jahrestagung.
Der Verein ist kräftig gewachsen, aus dem VIVAS- Samenkorn hat sich ein robustes Pflänzchen entwickelt. Die Idee, Trauernden nicht nur ein Netzwerk für Gespräche, sondern auch für gemeinsame Aktivitäten zu bieten, spricht viele Menschen an. Aber in welcher Form und Geschwindigkeit wollen wir weiterwachsen? Welche Aktivitäten planen wir in Zukunft? Wo braucht der Verein Unterstützung und wer möchte seine Talente einbringen? Das sind nur einige der Themen, über die wir uns unter der Regie von Doreen und David austauschten nach dem morgendlichen Feldenkrais im Stuhlkreis und beschenkt mit wunderschönen Filzblüten und Samenkugeln. Gelegenheit zum Plaudern und tieferen Kennenlernen gab es in gemütlichen Biergärten und beim gemeinsamen Spazieren. Danke all den lieben Menschen, die uns das ermöglicht haben!
Im Herzen von Altötting, dem berühmten Marienwallfahrtsort mit seinen 10 Kirchen (neun katholischen und einer evangelischen), logieren wir im barocken Ensemble des Kapellplatzes vis-à-vis der Gnadenkapelle inmitten einer bunten Mischung aus Religiosität und Kommerz. Zwar scheint die EC-Karte in die Lokale der Stadt noch nicht vorgedrungen zu sein, aber dafür bleibt man Papst Benedikt und Alfons Schuhbeck treu. Und während sich bei brütender Hitze die Pilger rarmachen, tauchen wir unter den Fittichen unserer fränkischsprachigen Fremdenführerin in die katholische Wallfahrtskultur ein.
Die Legende von der Schwarzen Madonna, zu deren Füßen im 15. Jahrhundert zwei totgeglaubte Kinder wieder zum Leben erwacht sein sollen, stellt wohl für uns alle eine Herausforderung dar. Beklemmend und zugleich berührend sind die zahllosen Votivtafeln im Umgang der Gnadenkapelle, zum Dank dafür, dass sich das Schicksal doch noch zum Guten gewendet hat: „Maria hat geholfen!“
Doch ist auch der Tod in den zahlreichen Kirchen von Altötting präsent, und das auf bisweilen makabre Weise. Ob wir nun über den in den Boden der Gnadenkapelle eingelassenen Herzurnen der bayerischen Kurfürsten und Könige wandeln oder schaudernd durch das in den Tilly-Sarkophag geschnittene Sichtfenster lugen. In der Stiftspfarrkirche grüßt uns der Tod von Eding, ein skelettierter Sensenmann in Aktion, der dem Glauben nach im Rhythmus der Zeit die Lebenden zu sich holt. Allerdings lässt sich seine Geschwindigkeit verdoppeln und geröntgt wurde der Ärmste auch schon, wegen einer Verletzung an der Wirbelsäule.
Staunend erfahren wir, warum der linke Mittelfinger des Stadtheiligen Bruder Konrad als Reliquie verehrt wird und dass die Quelle an seiner Kapelle gegen Augenleiden helfen soll. Geeignete Flaschen und Kanister zum Abfüllen würden in den Andenkenläden „gerne auch von Muslimen käuflich erworben“. Wir hören auch ein paar augenzwinkernd kritische Worte zur katholischen Kirche und zucken zusammen, als bei den Erläuterungen unserer patenten Stadtführerin zu den Kapuziner- und Samariterorden hinter uns der kritische Zwischenruf eines Mönchs erklingt. Kaum ist der Mann von dannen, geht es umso konspirativer weiter: „So offen bin ich nicht immer.“
Angesichts der launig-skurrilen Erzählweise unserer Führerin, die unseren Verein offenkundig nicht kennt, macht sich in unserer Gruppe trotz der thematischen Gratwanderung zunehmend Heiterkeit breit. Ich selbst falle erstmals seit langem wieder durch lautes Lachen auf. Auch das ist also Altötting. Das Gemeinschaftsgefühl bei VIVAS und der Humor, gerade von unerwarteter Seite, können das Schwere ein wenig leichter machen, und sei es auch nur für den Moment.
Der Geist von Altötting sei mit euch!
Birgit Kröniger