Folge 8: Die Suche nach dem Verstorbenen
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Ich habe schon eine Menge Dinge gesucht, weil ich sie verlegt habe. Manchmal sind sie auch einfach verschwunden. Erst neulich ein Zelt. Ich merkte erst nach einiger Zeit, dass es fort war und fragte vergebens die anderen. Es blieb verschwunden und es fiel mir schwer, mich damit abzufinden, bis ich ein neues kaufte. So ist das bei uns Menschen. Wenn wir etwas verlieren, dann suchen wir es, bis wir es finden und wenn es unauffindbar bleibt, dann versuchen wir es zu ersetzen. Aber einen geliebten Menschen können wir nicht ersetzen. Mit der Realisierung seiner Abwesenheit beginnt das lange Suchen nach dem Verstorbenen. Das ist ein zentraler Taktgeber der Trauer. Viele von euch leben lange Zeit in der Diskrepanz, einerseits zu wissen, dass der Tod unumkehrbar ist und andererseits darauf zu hoffen, irgendwo den Verstorbenen wieder zu finden. Wo bist du jetzt? Wo kann ich dich finden?
Wo bist du jetzt? Auf diese Frage kann es keine rationale oder wissenschaftlich fundierte Antwort geben. Der Tod ist jenseits dessen, was wir vermessen könnten. Seine Erkundung kann nur auf anderen Wegen geschehen. Logik und Verstand sind leider wenig hilfreich in der Entwicklung einer überdauernden Verbundenheit mit dem Verstorbenen. Der moderne Mensch ist ein empirischer Vermesser physikalischer Phänomene. Auf die gleichen Werkzeuge setzen viele, wenn sie die Ewigkeit verstehen wollen. Und dort verheddern sie sich dann in den Dimensionen von richtig – falsch, wahr – unwahr, biologischer Zelltod – unsterbliche Seele. Als könnte immer nur eines wahr sein. Und dann fragst du mich, was ich glaube. Und ich sage dir, dass ich keine Ahnung habe.
Manchmal begegnen mir Trauernde, die fest daran glauben, dass der Verstorbene nun bei Gott, bei Allah oder bei Jesus Christus sei. Und sie sind überzeugt, die verstorbene Person später wiederzusehen. Sie „im Himmel“ wiederzufinden. Das tröstet sie. Auch das Grab, in dem die sterblichen Überreste beigesetzt sind, wird für viele ein zentraler Ort der Suche nach dem Verstorbenen. Auch wenn dein Verstand weiß, dass der Verstorbene sein Dasein hoffentlich nicht in diesem Erdloch fristen muss, bleibt das Grab oft ein wichtiger Ort der Begegnung. Die Suche nach dem Verstorbenen trägt euch auch in Trauergruppen. Denn wenn in der Welt draußen kaum mehr jemand mit euch über die verstorbene Person sprechen möchte, so gibt es dort einen Ort, wo du von ihr erzählen darfst und gehört wirst. Wenn du von ihr sprichst, wird ein Teil von ihr lebendig. Auch dort, wo andere von ihr sprechen, wo Freunde und Weggefährten davon berichten, was sie mit ihr erlebt haben, entsteht Gegenwärtigkeit und du machst die Erfahrung, wie sehr sie in den Erinnerungen, Gefühlen und Gedanken der anderen eingebettet ist. Es berührt dich und macht dich auch dankbar, wie viel sie anderen bedeutet. Die verstorbene Person wohnt in all denen, die ihr begegnet sind.
Viele von euch sehen Zeichen. Vor allem in der Natur. Landschaften, Wasser, Regenbogen, Sterne, Herzen, Bäume, aber auch Musik und Menschen und immer wieder Tiere. Vor allem in Vögeln und Schmetterlingen, aber auch in der Verbindung mit anderen glaubt ihr den Verstorbenen zu erkennen. Manchmal erzählt ihr mir diese Zeichen, und das rührt mich zu Tränen. So wahrhaftig, so groß, so berührend sind diese Begegnungen, dass sich die Frage gar nicht stellt, ob es rational möglich ist. Auch werdet ihr in euren Träumen besucht, es sind oft Begegnungen voller Liebe und doch im Wissen, dass der andere tot ist. Auch davon erzählt ihr mir und ich beglückwünsche euch zu diesem Geschenk. Das heißt nicht, dass damit das Vermissen endet. Aber in diesen Erfahrungen wird das Suchen zu einem Finden. Bis du spürst:
Da ist etwas, das niemals verloren geht.