Folge 15: Welcher Verlust ist der Schlimmste?

 

Hören

 

Lesen

Wenn wir erfahren, dass ein Mensch gestorben ist, fragen wir sofort nach den Hintergründen. Was ist denn da passiert? Das ist die übliche Reaktion von uns, vor allem dann, wenn die Person jung gestorben ist. „War sie krank? War es ein Unfall?“ Diese Frage kommt uns sofort in den Sinn, als würde deren Beantwortung irgendeine Lösung bieten für eine dahinter liegende Frage: Wie kann es sein, dass der Tod so plötzlich ins Leben tritt? Wie kann es sein, dass jemand „vor der Zeit“ geht? Wir erhoffen eine Erklärung durch die Kenntnis der Todesursache und gelangen gerade damit schnell auf Irrwege. Als würde die Kategorisierung die Sache fassbarer machen. Als würde die Todesursache den Tod erklären.

Manchmal hat man den Eindruck, es gebe dabei eine Rangreihe. Dann ist der Tod des Partners nicht so schlimm wie der Tod eines Kindes. Und Krankheit ist nicht so schlimm wie Unfall. Bei der Krankheit wurde der Verstorbene schließlich irgendwann von seinem Leid durch den Tod erlöst. Bei einem Unfall stirbt dagegen unerwartet ein gesunder Mensch, der gerne noch weitergelebt hätte. Oder ist es nicht umgekehrt: bei einem Unfall darf jemand bis zuletzt ein unbeschwertes Leben führen, aber bei Krankheit muss oft viel Leid ertragen werden. Bei einem Suizid hat sich der Verstorbene angeblich selbst und freiwillig entschieden, sein Leben zu beenden (was fast nie stimmt!). Ist das am leichtesten? Ist der Tod mit 20 Jahren weniger tragisch als der Tod mit 10 Jahren? Im Grunde zeigen diese Gedanken, wie ratlos wir dem Tod gegenüberstehen.

All das berührt die Frage nach dem WARUM, die auch dich bewegt. Warum ist dein Mensch gestorben? Und wer ist schuld daran? Wir suchen nach Erklärungen und Verantwortung. Als wäre der Tod leichter zu verwinden, wenn wir wissen, dass ein Statiker die Haltbarkeit einer Brücke falsch eingeschätzt hat oder ein Arzt den Krebs zu spät erkannt hat. Das führt zu der Frage, die sich nahezu alle Trauernden stellen: Hätten wir den Tod des geliebten Menschen verhindern können? Allein schon die Fragestellung scheint in eine Sackgasse zu münden, denn dein Mensch ist ja gestorben, also hast du es nicht verhindern können und der Konjunktiv eines „hätte“ macht niemanden lebendig. Die Frage suggeriert immer einen Einfluss, den du in genau dieser damaligen Situation eben nicht hattest. Am Ende widerfährt den einen ein Unheil und den anderen nicht. Ist das gerecht? Nein, aber es ist trotzdem wahr und unumkehrbar.

Der Tod macht uns Angst und wir suchen eine Einordnung, wann ein Tod irgendwie akzeptabel ist (z.B., weil jemand schwer und unheilbar krank war) und wann ganz und gar ungerecht (z.B., weil jemand Opfer eines unverschuldeten Unfalls war). Gerade die Hinterbliebenen nach Suizid sehen sich mit enorm vielen Vorurteilen konfrontiert. Sie fragen sich selbst, ob und wo sie Schuld am Tod ihres Kindes oder Partners tragen. Oft sind sie vielen unausgesprochenen Mutmaßungen durch die Gesellschaft, aber auch durch Freunde und Bekannte ausgesetzt. „Ach, warum wollte dein Kind denn nicht mehr leben?“ Als sei es einfach so fortgegangen. Dabei hätte auch dieses Kind unglaublich gerne gelebt, wenn es nicht von einer grausamen Depression getötet worden wäre.

Meine Erfahrung zeigt mir, dass die Thematisierung der Todesursache bei der Begleitung eines trauernden Menschen fast immer relevant ist. Als ein wichtiges Detail, das ausreichend Würdigung erfahren muss, weil es viele Fragen beim trauernden Menschen hinterlässt. Aber die Todesursache sagt wenig über die Größe der Trauer und den Trauerverlauf.


Welcher Verlust ist also der Schlimmste?

Es ist dein Verlust, denn du selbst musst ihn tragen!

 
Weiter
Weiter

Folge 14: Das unsichtbare Zeichen auf deiner Stirn