Folge 11: Wieder etwas wollen
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In unserem Leben geschieht einiges, was wir nicht möchten. Wir alle kennen diese trivialen Unannehmlichkeiten (z.B. Strafzettel), die einem das Leben mühsam machen. Wir ärgern uns und sind frustriert. Manchmal nistet sich auch ein hartnäckiges Wehklagen ein: „Immer ich!“ Wenige Tage nach solch selbstmitleidigen Anwandlungen geht es uns meist wieder besser und wir haben uns damit irgendwie abgefunden, dass die Dinge nun mal anders laufen, als wir uns vorstellen.
Für Außenstehende scheint es manchmal so, als wäre dir Ähnliches widerfahren. Als wäre der Verlust deines geliebten Menschen ebenfalls ein Detail auf der ewigen Liste menschlicher Missgeschicke. Das merkst du schmerzhaft, wenn dein Schicksal mit anderen Unpässlichkeiten verglichen wird („mir geht es z.Z. auch gar nicht gut“), oder der Verlust in Zusammenhang zu anderen Verlusten gesetzt wird („ich war auch unfassbar traurig als meine Katze starb“).
Wenn ein geliebter Mensch stirbt, dringt unerbittlich und unabwendbar etwas völlig Neues und Ungewolltes in dein Leben ein. Mit einer Wucht, die vor nichts Halt macht und alles umstößt. Das hat nichts mit der Störung durch eine kaputte Heizung zu tun oder mit dem Kummer über die verstorbene Großtante. Der Verlust trifft dich für lange Zeit im Zentrum deines Seins: Du verlierst den Zugang zu dem, was dein Leben bedeutete und dem, was bisher ein wichtiger Motor war. Du verlierst den Zugang zu deinem Wollen. War früher dein Wollen ein wichtiger Kompass auf den Wegen durchs Leben, so irrst du nun orientierungslos herum. Alles erscheint unwichtig, gemessen an der Tatsache, dass der innig geliebte Mensch gestorben ist. Das Einzige, was in diesem Moment Linderung bringen könnte, wäre seine Rückkehr.
Für einige Zeit bezieht sich dein Wollen fast ausschließlich auf ihn. Ständig denkst du an ihn. Du willst wissen, warum er sterben musste, du gehst zum Grab und suchst ihn dort, du willst ihm nachsterben, willst die Zeit zurückdrehen und ihn irgendwie nachträglich retten. Auch in meine Praxis kommen viele, weil sie dort auf der Suche nach dem Verstorbenen sind. Du willst ihn einfach zurück. Punkt. Manchmal bleibt das über lange Zeit dein Ziel. Auch wenn dein Verstand weiß, dass es sinnlos ist… Und obwohl du weißt, dass es sich nicht erfüllen kann, suchst du ihn, denn das endgültige Verschwinden ist etwas, das du nicht fassen kannst: es ist unwirklich und fremd.
Die Seele braucht lange, um die neue Wirklichkeit zu begreifen. Der Weg kann schwer und steinig sein und nicht selten quält dich zwischendurch ein Gefühl erbarmungsloser Sinnlosigkeit, weil es dir einfach nicht gelingen will, wieder etwas anderes von Herzen zu wollen. Und es dauert und dauert und dauert. Bis irgendwann – schwer zu sagen, woher und warum – eine Veränderung beginnt und in dein Leben tritt: bis du vorsichtig spürst, dass du wieder etwas willst. Zumindest ein bisschen. Ein kleines bisschen. Du kannst dabei sogar eine leichte Vorfreude wahrnehmen. Es kann alles Mögliche sein: Eine Reise, eine Wanderung bei VIVAS, ein Hochbeet oder auch eine neue Küche. Das hört sich für manche vielleicht seltsam an, aber im Wunsch nach einer neuen Küche liegt manchmal die Morgenröte einer besseren Zeit. Das ist ein wenig absurd, denn jeder Mensch weiß, dass eine neue Küche den Verlust in keiner Weise verringert. Natürlich nicht! Aber darum geht es dabei nicht. Es geht einfach nur darum, dass du dein Wollen zurückgewinnst.
Viel Erfolg!